Das Haus Nr. 8 in der heutigen Hauptstraße im Baden-Badener Stadtteil Lichtental wurde am 27. Oktober 1862 von Clara Schumann – unter der damaligen Adresse Lichtenthal Nr. 14 – käuflich erworben und im Sommer 1863 bezogen. Es wurde bis 1873 von ihr genutzt und im September 1879 wieder veräußert.
Clara Schumann lernte Baden-Baden wohl bereits 1851, während eines eintägigen Besuchs mit ihrem Ehemann Robert Schumann kennen. Vor dem Erwerb des Hauses in Lichtental hatte sie sich im Sommer 1862 länger zur Erholung in der Kurstadt aufgehalten.
Der Zeitabschnitt von 1862–1873 fiel in eine Lebensphase, in der die seit 1856 verwitwete Pianistin besonders intensiv ihrer Auftrittstätigkeit nachging. Im Oktober 1868 betonte Clara Schumann in einer berühmt gewordenen Briefstelle gegenüber Johannes Brahms, dass das intensivierte „Concertreisen“ nicht allein wirtschaftlich begründet sei, sondern ihrem künstlerischen Selbstverständnis jener Jahre entspreche:
Du betrachtest es nur als Verdienst, ich nicht; ich fühle mich berufen zur Reproduction schöner Werke, vor allem auch der Roberts, solange ich die Kraft habe und würde auch, ohne daß ich es unbedingt nöthig hätte, reisen, nur nicht in so anstrengender Weise, wie ich es oft muß. Die Ausübung der Kunst ist ja ein großer Theil meines Ichs, es ist mir die Luft in der ich athme!
Im Herbst und Winter der Jahre 1862–1873 führten Konzertreisen Clara Schumann über Deutschland hinaus u.a. in die Schweiz, nach Frankreich, Belgien, Holland, Russland, Böhmen, Österreich, Ungarn und wiederholte Male nach England. Baden-Baden sollte vor dem Hintergrund dieses bewegten Lebens als sommerlicher Lebensmittelpunkt der Familie dienen. Die sieben Kinder Clara Schumanns waren – mit Ausnahme der ältesten Tochter Marie (geb. 1841) – während der Konzertreisen der Mutter auswärtig untergebracht und standen allenfalls brieflich mit ihr und unter einander im Kontakt. Aufenthalte in Baden-Baden im Sommer sollten der Familie wenigstens zeitweise ein gemeinsames Familienleben ermöglichen. Im November 1862 schrieb Clara Schumann in diesem Sinn an Johannes Brahms:
Also, ich ziehe im April 1863 nach Baden-Baden, habe mir dort in der Lichtentaler Alle ein kleines Häuschen, so gerade ausreichend für mich, gekauft, um den Sommer dort mit den Kindern zusammen sein zu können. Ich habe dort der Vorteile viele, Menschen und Natur, und brauche die Menschen doch nur zu sehen, wenn’s mich darnach verlangt, denn mein Häuschen liegt still, hinter der Oos, aber mit der Aussicht auf die große schöne Allee.
Clara Schumanns jüngste Tochter Eugenie (geb. 1851) hat in Ihren 1925 erstmals erschienenen Erinnerungen die Sommer in Baden-Baden tatsächlich als „die glücklichsten Sommer unsres Lebens“ bezeichnet. Der Geburtstag der Mutter am 13. September war für sie insofern zwar „der geliebteste Festtag des Jahres“, aber auch ein trauriger Termin – weil er das nahende „Ende des Sommers“ und damit die bevorstehende Abreise aus Baden-Baden andeutete.
Clara Schumann nutzte die Aufenthalte im kulturell regen Baden-Baden jedoch nicht nur zur Erziehung und musikalischen Bildung der Kinder und zur Erholung in der nahe liegenden Natur und im Garten des Hauses, in dem in Richtung Oos, auf der flussaufwärts liegenden Seite, eine von der Familie offenbar viel genutzte Laube stand. Aus Eugenie Schumanns Erinnerungen und der Korrespondenz der Pianistin geht hervor, dass Clara Schumann neben der organisatorischen und künstlerischen Vorbereitung künftiger Auftritte durchaus rege die vielfältigen Möglichkeiten des intellektuellen Austauschs, der menschlichen Begegnung und nicht zuletzt des gemeinsamen Musizierens wahrnahm, die Baden-Baden zu jener Zeit bot.
Clara Schumann wirkte in Baden-Baden nicht nur regelmäßig an Konzerten in privaten Salons und an öffentlichen Auftrittsorten der Kurstadt mit. Sie arrangierte auch Auftritte anderer bekannter Künstler in Baden-Baden. Und sie empfing in ihrem Haus – so beschreibt es Eugenie Schumann – was „an bedeutenden Musikern, Virtuosen, Gesangskünstlern nach Baden kam“. Kulinarisch soll es laut Zeitzeugen dabei eher schlicht zugegangen sein – ein Teller Suppe wurde den Gästen der Abendgesellschaften im Hause Schumann wohl in der Regel gereicht.
„Wir machten nicht eigentlich ein Haus,“ schreibt Eugenie Schumann entsprechend „denn erstens bedurfte unsre Mutter im Sommer der Ruhe und dann gestatteten ihr die Verhältnisse nicht die damit verbundenen Kosten; […] Aber es war doch ein lebhaftes angeregtes Treiben in dem kleinen Häuschen, ein ständiges Kommen und Gehen.“
Als herausragende Gäste nennt Eugenie Schumann das berühmte Florentiner Streichquartett um Jean Becker, die Ausnahme-Pianisten Anton Rubinstein und Marie Jaëll und die Violinvirtuosen Heinrich Wilhelm Ernst und Camillo Sivori. In den Anfang der Baden-Badener Zeit fällt die 1864 wieder gelöste Liebesbeziehung Clara Schumanns zum Komponisten Theodor Kirchner, der 1863 zeitweilig im Hause Schumann wohnte. Zum Ende von Schumanns Baden-Badener Zeit konnte 1869 die Hochzeit der Tochter Julie (geb. 1845) gefeiert werden, die in der Lichtentaler Kirche St. Bonifatius den Turiner Grafen Radicati di Marmorito heiratete.
Johannes Brahms ging, wie Eugenie Schumann sich erinnert, mit großer Selbstverständlichkeit ständig im Hause Schumann aus- und ein. Zu den regelmäßigen Gästen im Baden-Badener Schumann-Haus zählten außerdem der Violonist, Komponist und Musikpädagoge Joseph Joachim, einer der häufigsten Auftrittspartner Clara Schumanns, und dessen Ehefrau, die Altistin Amalie Schneeweiß, der Karlsruher Hofkapellmeister Hermann Levi, unter dessen Leitung Clara Schumann damals häufig auftrat, der Photograph, Kupferstecher und Publizist Julius Allgeyer und der mit diesem befreundete Kunstmaler Anselm Feuerbach, die in Baden-Baden ansässige Mezzosopranistin Pauline Viardot Garcia, der Komponist und Pianist Jakob Rosenhain und dessen Ehefrau, der für die Rezeption Robert Schumanns bedeutende Hamburger Musikdirektor und Bariton Julius Stockhausen und der Bankier und liberale Politiker Ludwig Bamberger und dessen Ehefrau Anna. Immer wieder zu Gast in Baden-Baden waren auch die engen Freundinnen aus Schumanns Düsseldorfer Zeit, Rosalie Leser und Elise Jungé, die wie andere auswärtige Gäste in dem zur Aubrücke hin gelegenen Wohnhaus der Pfarrerfamilie Schwarz untergebracht wurden.
Das zur Zeit des Besitzes durch Clara Schumann nur anderthalbstöckige Gebäude in der heutigen Hauptstraße 8 wurde von Zeitgenossen als äußerlich eher gedrungen und einfach beschrieben. Schumanns Kinder bezeichneten das Haus wohl liebevoll als „unsere Hundehütte“. Doch schon durch Schumanns Vorgängerin – die Advokatenwitwe Clara Becker, später Vermieterin von Johannes Brahms im heutigen Brahmshaus in der Maximilianstraße – waren im Inneren größere Umbauarbeiten vorgenommen worden. Dadurch entstand im Grundsatz der bis heute erhaltene Grundriss, in dem ein großzügiger Salon, das Zentrum der Wohnung mit fünf darum liegenden Räumen bildet. Clara Schumann, die in Baden-Baden nicht zuletzt auch unterrichtete, konnte so in der Wohnung zeitweilig immerhin drei Flügel unterbringen.
In den Erinnerungen Eugenie Schumanns findet sich eine eindrückliche Beschreibung des Salons in der Mitte der Schumannschen Wohnung:
„Trat […] der Besucher durch die Türe, so fand er sich in einem hellen anmutigen Raume. Durch drei nebeneinanderliegende Fenster sah er auf die rebenumrankte Veranda, das grüne Gärtchen, die eilig dahinfließende Oos und die hohen Platanen der Lichtentaler Allee am jenseitigen Ufer. An der Längswand gegenüber stand der Flügel. Die Tapete, grau mit wenig Gold darin, war von Marie und der Mutter mit großer Sorgfalt ausgewählt worden und die schönen Kupferstiche nahmen sich sehr gut darauf aus. In den Ecken standen Gipsabgüsse des Apollo von Belvedere und der Venus von Milo. An der der schmalen Wand des Zimmers befand sich das Sofa und der Daraufsitzende blickte durch die geöffnete Flügeltüre an der Wand des anstoßenden kleinen Zimmers geradewegs auf das lebensgroße […] gemalte Bild der Hausfrau.“
Der Blick aus dem Salon nach draußen scheint auch Clara Schuman selbst gefesselt zu haben. In einem Brief an Brahms im Mai 1863 kurz nach dem Einzug in Lichtental schrieb sie:
„Die Natur prangt in vollstem Glanze, und oft stehe ich nur so an der Balkontür und blicke entzückt hinaus auf das herrliche Grün, dahinter die dunklen Tannen!“
Während Besucher des Clara-Schumann-Hauses diesen Blick nach draußen und den beschriebenen Charakter des Schumannschen Salons bis heute lebendig nachvollziehen können, hat sich der äußere Charakter des Gebäudes in der Hauptstraße 8 durch eine von der Nachbesitzerin Augusta Suhsemihl realisierte Aufstockung grundsätzlich verändert. Das Haus ähnelt äußerlich heute anderen bürgerlichen Villen des 19. Jahrhunderts in der Kurstadt.
Bevor 1959 eine durch die Frankfurter Robert-Schumann-Gesellschaft gestiftete Tafel an Baden-Badens Clara-Schumann-Haus angebracht werden konnte, waren somit zunächst gründlichere Recherchen notwendig. In der Stadt war mittlerweile in Vergessenheit geraten, wo genau in Lichtental, die „geniale Pianistin und Gattin des Komponisten Robert Schumanns“ von 1863-1873 gelebt hatte, wie es nun auf der in der Hauptstraße 8 angebrachten Tafel heißt.